Ein Fachmann berichtet
Ulrich Sprenger war zuerst 12 Jahre Lehrer am Gymnasium und danach 22 Jahre Lehrer an der Gesamtschule. Er ist also, wie kaum jemand anderer, dazu berufen, beide Schulformen miteinander zu vergleichen. Kritisch hält er Rückschau und wirft in einem Aufsatz einen nicht sehr erfreuenden Blick auf die pädagogischen Leistungen der Gesamtschule, sowohl im fachlichen wie auch im sozialen Bereich.
Der Text ist erschienen in einem Buch des Auer Verlages mit dem Titel "Neue Mythen in der Pädagogik" und ist auch unter der Adresse
"Warum ich meine Kinder heute nicht mehr auf eine integrierte Gesamtschule schicken würde"
im Internet veröffentlicht.
Wer Zeit zum Lesen dieser 5 Seiten hat, möge dort nachschauen. Für Eilige fasse ich hier seine Ausführungen zusammen:
- Leistungsstarke und wissbegierige Kinder werden aus Rücksicht auf lernschwächere Schüler und um diese nicht zu beschämen in ihrem Lerneifer zurückgehalten. - Leistungsschwächere, manchmal in ihrer Vitalität die Stärkeren, halten die Leistungsstarken nieder. (Sprenger meint wohl den körperlichen Einsatz auf dem Schulhof!) - Leistungsschwächere bestimmen das Lerntempo. (Konvoi-Effekt: "Eine Kolonne ist nie schneller als ihre langsamsten Fahrzeuge") - Binnendifferenzierung (Kurssystem) ist nicht erfolgreich. - In undifferenzierten Fächern, wie Geschichte, Erdkunde, Biologie, Kunst, Musik, Religion, kommt es nicht zu einer erhofften Angleichung nach oben, sondern zu einer Nivellierung auf niederem Niveau. - Lernrückstände gegenüber dem Gymnasium am Ende der Klasse 10 (z.B. 3 Jahre im Fach Mathematik) sind in der Oberstufe nicht aufzuholen. Weiterhin sind durch wissenschaftliche Schulformuntersuchungen hohe Defizite in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch nachgewiesen. - Infolgedessen haben begabtere Schüler von Gesamtschulen bei Bewerbungen zur beruflichen Ausbildung ebenso wie in der Oberstufe und folglich auch im Studium nicht dieselben Chancen wie Schüler von Gymnasien. |
- Mittelmäßige Schüler würde er eher auf eine Realschule schicken; denn dort haben sie gegenüber integrierten Gesamtschülern einen Wissensvorsprung von 2 Jahren. - Leistungsschwächere Schüler, die am Gymnasium oder an der Realschule überfordert sind, würde er erst recht nicht auf eine integrierte Gesamtschule schicken. Denn diese sind großen psychischen Strapazen ausgesetzt, weil sie erleben, dass andere schneller, erfolgreicher und beliebter sind. Sie reagieren aggressiv und resignieren wegen ihrer ständigen Unzulänglichkeits- und Beschämungserfahrungen. Er würde solche Schüler lieber zur Hauptschule schicken, eine Schulform, die in der TIMSS II-Studie erheblich besser beurteilt wird als in der öffentlichen Meinung. - Er habe in seiner gesamten Dienstzeit "nie so viele desperate, demotivierte, von Aggression oder Auto-Aggression umgetriebene Schülerinnen und Schüler erlebt wie seit 1986 an der integrierten Gesamtschule in den Grundkursen der 9. und 10. Jahrgänge." Als Grund gibt Sprenger die Aufsplitterung der Klassenverbände an, und er zitiert in diesem Zusammenhang den Pädagogikprofessor Klafki, der der Ansicht ist, gerade lernschwächere Kinder benötigten in besonderer Weise "den Klassenverband und seine langfristig stabilen Beziehungsmöglichkeiten zu Lehrern wie Mitschülern, um sich wohlfühlen, emotionale und soziale Sicherheit gewinnen und Vertrauen zu sich und anderen entwickeln zu können." (Wolfgang Klafki, Pädagogische Welt 3/93, S.102) |
- Ganztagsbetreuung kann die Situation der Kinder nicht nachhaltig verbessern. Sowohl das fachliche wie auch das soziale Lernen werden durch den Ganztagsbetrieb sogar nachweisbar beeinträchtigt. Außerdem haben die Kinder erheblich weniger private Freizeit und können daher die Kontaktmöglichkeiten in Nachbarschaft und Wohnviertel nicht hinreichend wahrnehmen. Die soziale Integration dort kommt entschieden zu kurz. Der Ganztagsbetrieb kompensiert weithin lediglich die durch ihn selbst geschaffenen Probleme. - Man könne es drehen und wenden wie man wolle: Die integrierte Gesamtschule sei trotz der Anpreisungen ihrer Befürworter "ein nicht zu haltendes Versprechen". Alle Eltern, die ihr Kind auf eine integrierte Gesamtschule schicken wollen, müsse man daher vor diesem Schritt warnen. Ulrich Sprenger beschließt seinen Aufsatz mit mit folgenden Worten: "Ich jedenfalls würde meine Kinder heute nicht mehr auf eine integrierte Gesamtschule schicken. Und ich sage das nicht ohne Bedauern und Unbehagen. Denn ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die Lehrerinnen und Lehrer dieser Schulform ebenso engagiert, wenn nicht sogar noch engagierter unterrichten als die Lehrer anderer Schulformen. Aber unter den Rahmenbedingungen der integrierten Gesamtschulen können ihre Bemühungen nur in beschränktem Maße erfolgreich sein." |
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