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Qualitätssicherung durch Notendumping
Inkompetenzkompensationskompetenz verschleiert das Scheitern der Schulreformen
von HANS PETER KLEIN
Wie Wissen und Können als Grundlage von realer Bildung entstehen
und wie die im Unterricht am besten zu erreichen ist, weiß man seit langem.
Wieso lässt man Lehrern nicht die Freiheit dazu, dies eigenständig
und aufgrund ihrer Ausbildung selbst zu entscheiden, wie sie ihren Unterricht gestalten?
Schließlich sind sie die Fachleute.
Die Spatzen pfeifen es längst von den Schul-Dächern: Die
Methoden angeblicher ‘Qualitätssicherung’ des Unterrichts
führen nicht zu mehr Wissen und Können, sondern
kaschieren, dass Schüler immer weniger wissen und können.
Immer mehr Studienanfänger, insbesondere in den Naturwissenschaften,
fehlen grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten,
ein Studium erfolgreich aufzunehmen und abzuschließen. Was
in Lehrerkollegien an Ärger über ministeriale Vorgaben nur hinter
vorgehaltener Hand ein Ventil findet, geht jedoch die Öffentlichkeit an.
Die Leistungsexplosion durch Kompetenzorientierung – eine Mogelpackung?
Seit dem ‘PISA-Schock’ wird von den Politkern und ihren Beratern
aus der empirischen Bildungsforschung behauptet, nur mit
Bildungsstandards, kompetenzorientiertem Unterricht, Kerncurricula,
Vergleichsarbeiten und zentralen Prüfungen bis hin zum
Zentralabitur könne die Unterrichtsqualität verbessert und ein
besserer Platz im PISA-Ranking erreicht werden. Die Logik hinter
dieser Standardisierung ist simpel und auch nicht nur falsch:
Man sucht nach einem verbindlichen Maßstab für den zweifelhaften
Stand an Können und Wissen der Schüler. Darf man den
Vertretern dieser Konzepte und
der sie unterstützenden Presse
Glauben schenken, so ist es anscheinend
binnen kürzester Zeit
gelungen, die Abiturientenquote
deutlich zu erhöhen, die Sitzenbleiberquote
auf nahezu Null herunterzufahren,
die Zahl der
Schulabgänger ohne Abschluss
zu reduzieren, leistungsschwächere
Schüler individuell zu fördern
und zu besseren Abschlüssen
zu bringen und die Studierfähigkeit
bei gleichzeitigem Abbau
von unnötigem Wissensballast
zu verbessern – und das alles bei
steigendem Leistungsniveau!
Denn von Jahr zu Jahr erhöht sich die Anzahl der Abiturienten
mit der Traumnote 1,0 (oder besser) bei gleichzeitig gegen Null
sinkenden Durchfallquoten. Wer will da maulen? Merkwürdig
nur, dass die Stimmen aus Handwerk, Mittelstand und Universitäten
nicht abreißen, die ein mangelndes und weiter sinkendes
Qualifikationsniveau der Schulabsolventen beklagen. Ingenieure
und Naturwissenschaftler sind Mangelware und auch ausbildungsfähige
Lehrlinge im Handwerk werden dringend gesucht.
Sind das nur die Klagen der ewig Gestrigen und Unzufriedenen,
oder was geht hier vor?
Das neue Qualitätsmanagement – die verordnete Nivellierung der Ansprüche
Die Ursache für diese Diskrepanz aufzudecken und die Erfolgsmeldungen
auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen wäre nun
in der Tat eine wichtige Forschungsarbeit. Damit wurde aber
bislang niemand betraut. Anscheinend besteht seitens der Qualitätssicherungs-
Euphoriker in den Ministerien und der KMK
kein Interesse daran, ihre eigenen Qualitätssicherungsmaßnahmen
in einer wissenschaftlich offenen Fragestellung zu untersuchen.
Auf Anfragen bei den Kultusministerien des ein oder
anderen Bundeslandes erhält man folgerichtig die Auskunft,
dass selbstverständlich derartige Forschungsfragen von großem
Interesse seien – allerdings nur, wenn vorher die Fragestellung,
die Ziele der Untersuchung und der Umgang mit möglichen Ergebnissen abgesprochen werde! Klarer geht’s nicht: Forschung
bitte nur political und didactical correct! Sonst stünde möglicherweise
das aus der Technik und Managementlehre importierte
Konzept formalistischer Qualitätssicherung im Bildungsbereich
ganz in Frage.
Eine erste Ernüchterung über die vermeintliche Lösung aller Bildungsprobleme
durch ‘Kompetenzorientierung’ ergab sich nach
der an dieser Stelle vorgestellten Untersuchung zum Zentralabitur
im Fach Biologie in Nordrhein-Westfalen (1): Unvorbereitete
Neuntklässler hatten eine Leistungskurs Abiturklausur in Biologie
problemlos bestanden. Das Geheimnis der ungeahnten Qualitätsexplosion?
Alle Lösungen
standen im Aufgabentext, man
brauchte nur ‘Lesekompetenz’,
um sie ab- oder umzuschreiben.
Fachwissen? Fachmethodisches
Können? Fehlanzeige. Das stachelte
an zu weiteren, selbstverständlich
unerwünschten Untersuchungen.
Und siehe da: Auch
im Fach Mathematik zeigt sich,
dass Alltagswissen, Lesekompetenz
und eine gewisse Cleverness
für die erfolgreiche Bewältigung
dieser Art von kompetenzorientierten
Aufgabenstellungen im
Zentralabitur ausreichen (2). Schüler
der 11. Klasse eines Gymnasiums
(G9) erreichten in der Abiturklausur ohne Probleme mindestens
die Note ausreichend im Aufgabenkomplex Analysis,
ohne die eigentlich zur Lösung dieser Aufgaben notwendigen
mathematischen Grundlagen in der Jahrgangsstufe 12 und 13
jemals behandelt zu haben. Auch hier ist der Trick einfach: In einer
Aufgabe, in der es um die Pulswerte eines Radsportlers
geht, die in einem Graphen dargestellt sind, muss der Schüler
keinerlei Rechenaktionen durchführen. Es reicht aus, den Verlauf
der vorgegebenen Kurve in Worten zu beschreiben und aus
den vorgegebenen Sachinformationen oder auch eventuell vorhandenem
Alltagswissen den richtigen Schluss zu ziehen. Das
ausführliche Arbeitsmaterial enthält alle Informationen, die der
Schüler zur korrekten Beantwortung der Frage und für das Erreichen
der vollen Punktzahl für diese Teilaufgabe benötigt. Mathematisches
Vorwissen ist eher hinderlich, da gute Schüler hinter
dieser Aufgabenstellung komplizierte Rechenaktionen vermuten,
die für die Lösung einzubringen wären. Schüler aus Bundesländern,
die mit solchen Prüfungen gesegnet sind, durchschauen
den Klamauk und fühlen sich nicht ernst genommen.
Entsprechende Kommentare liest man in den sozialen Netzwerken:
Das sei anspruchslos, reines Abschreiben vorgegebener
Texte, Fachwissen wäre nicht erforderlich, es gebe keinen mathematischen
Anspruch usw. (3).
Dass man dies in den Kultusministerien mittlerweile an oberster
Stelle weiß und gar nicht mehr bestreitet, scheint offensichtlich zu sein: Fachleiter der am Zentralabitur in einzelnen
Bundesländern beteiligten Schulformen werden von den entsprechenden
vorgesetzten Behörden auf Fortbildungstagungen
klar angewiesen, dass die Schülerleistungen in allen Zentralprüfungen
ausschließlich aus der Bearbeitung der im Arbeitsmaterial
vorgegebenen vielfältigen textlichen und grafischen Informationen
zu beurteilen seien und dass grundlegende oder zusätzliche
Wissensleistungen – bisher ein entscheidender Faktor
einer zu beurteilenden Schülerleistung – nicht mehr berücksichtigt
werden dürfen. Auf die vorsichtige Nachfrage von Fachleitern
bei den entsprechenden Fachdezernenten, ob man denn
nicht wisse, dass nahezu alle Antworten dort bereits vorgegeben
sind, erfahren die konsternierten
Lehrer dann, dass man
dies sehr wohl wisse, man
werde es auch versuchen,
in zukünftigen Aufgabenstellungen
nicht
mehr so offensichtlich
zu machen, grundsätzlich
sollten sich die Lehrer
darum aber keine Gedanken
machen, es sei
halt politisch so gewollt.
Inkompetenzkompensationskompetenz – oder von allerlei Tricks des Qualitätsmanagements
Auch alle anderen Tricks, mit denen
die Leistungs-Kennziffern frisiert
werden, sind in den Schulen
bekannt: Die Anzahl Sitzenbleiber ist
praktisch nur deswegen auf Null gesunken,
weil in einer Art vorgegebenem
Plansoll auf Schulleiter und Lehrer entsprechender
Druck ausgeübt wurde. Mittlerweile
wird ganz offen in entsprechenden Verordnungen
in vielen Bundesländern ein generelles Verbot des
Wiederholens einer Klassenstufe erteilt. Schüler mit unzureichenden
Leistungen bekommen diese nun einfach als ausreichend
bescheinigt. Nicht in der Spur befindliche Lehrer werden
zu ‘Förderberichten’ für unzureichend erteilte Leistungszertifikate
verdonnert und in den Zeugniskonferenzen wird zusätzlich
Druck auf die Lehrer ausgeübt, doch möglichst Noten aus der
oberen Hälfte der Notenskala zu vergeben, man stehe ja
schließlich auch im ‘Wettbewerb’ um Schüler mit Nachbarschulen
und es diene auch der Sicherung des Schulstandortes und
damit der eigenen Arbeitsplätze. Die Hauptsorge vieler Schulleiter
betrifft dann auch die Schülerzahlen, die mit allen Mitteln
zu halten sind. Also senkt man die Ansprüche, um die Eltern bei
Laune zu halten und sich keinen Rüffel der vorgesetzten Behörde einzuhandeln. So können Schulen in Nordrhein-Westfalen
etwa entscheiden, ob sie bei den Lernstandserhebungen der
Mittelstufe in Deutsch die Rechtschreibefähigkeit der Schüler
überhaupt erheben und ob sie deren Ergebnisse unter den
Tisch fallen lassen, wenn sie nicht genehm sind. Ein System von
Verheimlichung und Betrug an der Öffentlichkeit setzt sich
fort.
Bildungsstandards und Qualitätsmanagement in den USA – ein Betrugsskandal
Dabei weiß man längst, was falsch verstandene ‘Qualitätssicherung’
anrichten kann. Unlängst hat die New Yorker Professorin
Diane Ravitch, die unter
Bush Senior maßgeblich
an der Durchsetzung
von Testsystemen beteiligt
war, ihren fatalen
Irrtum erkannt und öffentlich
bekannt. Einst
glühende Verfechterin
von Standards, Tests,
freier Schulwahl und
Charter Schools, räumt
sie heute offen in ihrem
Buch ‘The Life and Death
of the Great American
School System. How Tests
and Choice are Undermining
Education’ (4) ein, dass gerade die
Standardisierung und die mit ihr
einhergehenden Testverfahren das
Gegenteil von dem bewirken, was sie
eigentlich erreichen sollten: die Aushöhlung
jeglicher Bildungs- und Erziehungsansprüche.
Tests sollten schlechte
Schulen in den Blick rücken und freie
Schulwahl den armen Kindern ermöglichen,
eine andere Schule zu wählen: »All
das schien Sinn zu machen, aber es gab wenig
empirische Belege, nur Versprechungen und
Hoffnung. (…) Aber nach und nach überzeugten mich die zahlreichen
Hinweise, dass die jüngsten Reformen ihr Versprechen
nicht hielten. Je mehr ich sah, desto mehr verlor ich den Glauben.«
Seit Anfang 2010 und sich fortsetzend in 2011 erschütterte die
ganze USA ein Betrugsskandal (‘cheating’) bisher nicht gekannten
Ausmaßes, nachdem noch in den vergangenen Jahren die
erfreuliche Verbesserung der Schülerleistungen vor allem im
Süden der USA unter der Obama Regierung als Erfolg der Test-
Maßnahmen des 2002 unter George W. Bush erlassenen Gesetztes
‘No Child Left Behind’ gefeiert wurde, das ja von unseren
Politkern gerne zitiert wird. Dieses Gesetz hatte zum Ziel,
innerhalb von zwölf Jahren möglichst alle Schüler auf einen zumindest ausreichenden Leistungsstand zu bringen und arbeitete
mit finanziellen und personellen Boni für gut und entsprechende
Mali für schlecht abschneidende Schulen. Der Betrugsskandal
hatte seinen Ausgang in Atlanta, wo die Fragebögen der
Schüler mit unzureichenden Ergebnissen von den Lehrern aussortiert
und durch von ihnen selbst korrekt ausgefüllte Formulare
ersetzt wurden. Man griff zum Betrug, um im nationalen
Ranking einen besseren Platz zu erreichen und Sanktionen für
Schulen und Lehrer mit schlechten Ergebnissen ihrer Schüler zu
umgehen. Die Presse vermutet, dass dies sogar teilweise in stillem
Einverständnis mit dem jeweiligen Gouverneur geschah, da
das Erreichen besserer Rankingplätze in den USA eine eigene
aus dem Sportbereich entliehene Kultur entwickelt hat, der sich
anscheinend mittlerweile nicht nur in den USA niemand entziehen
kann. Zudem bringen bessere Rankingplätze zusätzliche
Gelder und Reputation ein. Mittlerweile nimmt man an, dass
diese Betrugsserien in einer nicht näher bekannten Dunkelziffer
in den meisten Staaten der USA in mehr oder minder großem
Umfang stattgefunden haben. Der Skandal verbreiterte die Kritik
an derartigen Testverfahren: »Es ist dieser idiotische Druck
auf Schulen und Lehrer, den die Testergebnisse verursachen und
ich glaube, dass dies nicht nur die Ergebnisse selbst korrumpiert
sondern die Bildung und Erziehung insgesamt« so der angesehene
Testexperte Professor Haney vom Boston College. Spätestens
seit diesem Betrugsskandal gilt das ‘No child left behind’
Gesetz als gescheitert, da die Zielsetzung nicht zu erreichen ist.
Bildungsstandards und Qualitätsmanagement in Deutschland – Die subtilere Form des amerikanischen ‘Cheating’
Während aber in den USA die Ersteller dieser Testverfahren dazu
tendieren, zunehmend höhere Leistungen einzufordern, beschreitet
man bei uns den gegenteiligen Weg: Nicht genehme
Abiturprüfungen werden am Schreibtisch nachgebessert und
landes- oder auch bundesweite zentrale Prüfungen werden in
ausgewählten Schulen unter strengster Geheimhaltung solange
‘weich gespült’, bis niemand mehr scheitern kann. Schülern, Eltern
und der Öffentlichkeit wird vorgekaukelt, es wären tatsächlich
bessere Leistungen erzielt worden. Das dem nicht so ist,
deutet sich an den Hochschulen immer mehr an: Ein großer Teil
der neuen Studienanfänger ist für die erfolgreiche Aufnahme eines
Studiums insbesondere in den Naturwissenschaften teilweise
völlig unzureichend geeignet. Entsprechend nimmt das
BMBF, also jenes Ministerium, das die Konzepte der empirischen
Bildungsforschung mit Bildungsstandards, Kompetenzorientierung
und allen möglichen zentralen und dezentralen Testverfahren
finanziell in den letzten zwölf Jahren mit hohen Millionbeträgen
gefördert hat, jetzt wiederum hohe Millionbeträge in die
Hand, um im Rahmen von Brückenkursen den Abiturienten eine
Art Nachhilfeunterricht zu erteilen. Gleichzeitig nimmt auch
hier der Druck auf die Lehrenden an den Hochschulen zu, die
Durchfallquoten drastisch zurück zu fahren. Geld vom Land
gibt’s nur für Studierende, die in der Regelstudienzeit zum Abschluss
gebracht werden. Auch die extrem hohen Durchfallquoten an verschiedenen deutschen Hochschulen, insbesondere in
der Mathematik und den Ingenieurwissenschaften, weisen darauf
hin, dass ein immer größerer Graben zwischen den an
Kompetenzorientierung ausgerichteten Schulfächern und den
universitär betriebenen Fächern aufbricht. Anscheinend stellt
sich hier niemand die Frage nach der eigentlichen Ursache, dass
nämlich gerade in Mathematik und den Ingenieurwissenschaften
mathematische Kenntnisse vorausgesetzt werden, für welche
die den Schulen verordnete Alltagsmathematik gepaart mit PISA-Lesekompetenz nun mal eben nicht ausreichend sind.
Ausblick
Statt also die Ansprüche durch derartige ‘Weichspülungen’ als
auch durch eine zunehmend karnevalisierte Didaktik und Methodik
bei gleichzeitig verordnetem Wechsel der Lehrerrolle
zum Lernbegleiter bei gleichzeitigem Verbot einer sicherlich
notwendigen Wissensvermittlung grundlegender Basics in den
jeweiligen Fächern – insbesondere in den Naturwissenschaften,
die eben nicht apriori wie von selbst vorhanden oder zu erarbeiten
sind – herunter zu fahren, wäre es an der Zeit, zum eigentlichen
Lernen zurückzukehren. Wie Wissen und Können als
Grundlage von realer Bildung entstehen und wie dies im Unterricht
am besten zu erreichen ist, weiß man seit langem. Wieso
lässt man Lehrern nicht die Freiheit dazu, dies eigenständig
und aufgrund ihrer Ausbildung selbst zu entscheiden, wie sie
ihren Unterricht gestalten, denn schließlich sind sie die Fachleute
und nicht die Empiriker oder sonstige selbst ernannte Bildungsgurus,
die in dem ein oder anderen Bundesland derzeit
aus dem Hut gezaubert werden. Hier kann nicht nur die entscheidende
und souveräne Lehrerrolle in Finnland ein Vorbild
sein, wo der Lehrer in seinem Unterricht die Freiheit hat, von
dem unterschiedlichen Methodenreservoir die ihm geeignet erscheinenden
zu wählen. Auch die größte jemals durchgeführte
Vergleichsstudie zu diesem Themenbereich von John A.C. Hattie
‘Visible Learning: A Synthesis of Over 800 Meta-Analyses
Relating to Achievement’ (5) von 2009 weist eindeutig auf die
überragende Bedeutung der Lehrperson für Bildungsprozesse
hin, die man hier anscheinend nicht zur Kenntnis nehmen will.
Gleichzeitig wird mit dem Vorurteil aufgeräumt, ausschließlich
schülerzentrierter Unterricht führe zu besseren Lernerfolgen:
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Rolle des Lehrers
als ‘activator’ mit vom Lehrer ausgeführten Instruktionen sehr
viel erfolgreicher sind als die Rolle des Lehrers als ‘facilitator’,
also der des Lernbegleiters. Gerade das bei uns viel gescholtene
‘reciprocal teaching’, was dem fragend-entwickelnden Unterrichtsprinzip
nahe kommt, erzielt in dieser vergleichenden Untersuchung
die höchsten Erfolgswerte. Interessant auch, dass
hier das ‘problem-based learning’ besonders schlecht abschneidet.
Und auch die deutsch-schweizerische Längsschnittstudie
zur Unterrichtsqualität im Mathematikunterricht (6) kommt
zum Ergebnis, dass ein Unterrichtserfolg dann zu erwarten ist,
wenn der Lehrer a) über ein grundlegendes differenziertes
Fachwissen verfügt b) auf eine geordnete Unterrichtsstruktur
zurückgreift c) ein notwendiges Maß an Disziplin in seinem Unterricht hat und d) eine gute Unterrichtsatmoshpäre herstellt.
Gruppenarbeit führte in dieser Untersuchung selbst zur Überraschung
der Forscher zu schlechteren Ergebnissen. Welcher
Lehrer würde diese vier Punkte nicht ohne zu Zögern ebenfalls
als grundlegend bezeichnen? Das Primat der Methoden über
den Ergebnissen ist denn auch in keinem Land der OECD soweit
ausgeprägt wie in Deutschland. Ganz im Gegenteil wird
gerade auch im angloamerikanischen
und asiatischen
Raum, aber auch bei
unserem Nachbarn Frankreich
ein ‘teaching to the
test’ Unterricht bevorzugt,
der uns sicherlich nicht unbedingt
als Vorbild dienen
sollte. Die Vielfalt des Methodeneinsatzes
dürfte die
Lösung sein, die auch für
den Schüler den Unterricht
abwechslungsreich und interessant
erscheinen lässt.
Stattdessen wird der Lehrer
hier zum Handlanger
einer empirischen Bildungsforschung
degradiert,
deren Konstrukteuren für einen angeblich besseren Unterricht
nichts anderes einfällt, als die Erstellung von Aufgabenpools
in Form von Arbeitsblättern im Rahmen von völlig
umstrittenen Kompetenzentwicklungsmodellen, die der Lehrer
dann im Rahmen eines papierdidaktischen Unterrichts-Ansatzes
seinen Schülern austeilen und wieder einsammeln darf
und dabei darauf zu achten hat, dass er möglichst die Ergebnisse
der quantitativen Erfassungen nicht durch seinen störenden
Einfluss verfälscht. Und so langsam sollte man auch
die Frage stellen, wieso man an den längst bröselnden Fassaden
potemkinscher Bildungs-Dörfer wider besseren Wissens
und Gewissens weiter flickt?
Literaturhinweise:
(1) Klein, HP (2010): Die neue Kompetenzorientierung: Exzellenz oder
Nivellierung? Journal für Didaktik der Biowissenschaften JfdB 1, 1-11
(2) Klein, HP, Jahnke, Th (2012): Die Folgen der Kompetenzorientierung
im Fach Mathematik. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik
(im Druck)
(3) www.uni-protokolle.de/foren
(4) Ravitch, D. (2010): The Death and Life of the Great American School
System: How Tests and Choice are Undermining Education. Basic Books,
New York
(5) Hattie, J.A.C. (2009): Visible Learning. A Synthesis of Over 800 Meta-
Analyses Relating to Achievement. Routledge, Chapman&Hall, New York
(6) http://www.dipf.de/de/projekte/Pythagoras
Zum Autor:
Prof. Dr. Hans Peter Klein
ist Präsident der Gesellschaft
für Didaktik der
Biowissenschaften, Mitbegründer
und Geschäftsführer
der Gesellschaft für
Bildung und Wissen, lehrt
Didaktik der Biowissenschaften
an der Goethe
Universität Frankfurt am
Main und war 2011/2012
Gastprofessor am College
of New Jersey/USA.
Der Originaltext kann unter folgender Adresse gefunden werden:
http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2012/11/Qualit%C3%A4tssicherung.pdf
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